Wenige profitieren von Einheitszone

VBN-Tickets für die meisten teurer

von Christian Weth - Weser Kurier 09.01.2015

Ein Tarif für die gesamte Stadt: Der Senat wollte ihn schon lange, jetzt hat der Verkehrsverbund Bremen/Niedersachsen (VBN) die Forderung umgesetzt. Ein Dreivierteljahr haben verschiedene Gremien an einer Preisstruktur gearbeitet, die es ermöglicht, aus zwei Tarifzonen eine Zone zu machen. Herausgekommen ist ein System, von dem profitiert, wer regelmäßig mit Bus und Bahn von Bremen-Nord in die Innenstadt fährt und umgekehrt. Und eines, bei dem mehr zahlt, wer das nicht macht – die Mehrheit der VBN-Kunden.

Martina Dohrmann hat nicht viel Geld. Jeden Euro, sagt die Alleinerziehende, müsse sie dreimal umdrehen. Dohrmann, 51 und Erzieherin, stockt auf. Sie erhält Hartz-IV und hatte sich schon gefreut, als sich die Summe vom Staat erhöhte. Mittlerweile ist das Plus geschrumpft, fast aufgezehrt von den Beträgen, die Dohrmann seit Jahresanfang mehr ausgeben muss für die Bus- und Bahnfahrkarten ihrer Söhne.

Beide haben ein Monatsticket beziehungsweise ein Stadtticket für Schüler. Das eine kostet jetzt 2,70, das andere 3,30 Euro mehr. Dohrmann hat es nachgerechnet: „Ich gehöre zu denen, die deutlich über der angekündigten Preiserhöhung von durchschnittlich drei Prozent liegen.“ Sie zahlt 6,5 beziehungsweise 13,6 Prozent mehr und zählt sich deshalb zu den Verlierern des neuen Tarifsystems.

Von Verlierern will Eckhard Spliethoff nichts wissen. Der Sprecher des Verkehrsverbundes Bremen/Niedersachsen formuliert es anders. Martina Dohrmann gehört nach seiner Umschreibung zur Gruppe der Kunden, die seit Jahresanfang mittrage, dass eine andere Gruppe seither deutlich günstiger mit Bus und Bahn fahre: die der Berufspendler von Bremen-Nord in die Innenstadt und umgekehrt. Für sie sind die Kosten um 15 Prozent gesunken.

Wie viele Pendler das sind, kann Spliethoff nicht in absoluten Zahlen sagen. Ihm zufolge kann aber davon ausgegangen werden, dass rund zehn Prozent der VBN-Kunden von der neuen Tarifregelung profitierten und die übrigen 90 Prozent sie mitfinanzierten. „Für sie wird es im Umkehrschluss teurer statt billiger“, sagt der Sprecher des Verkehrsverbundes. Und manchmal sogar teurer als im Durchschnitt. Wie im Fall von Martina Dohrmann.

Der VBN hat umgesetzt, was sich viele Pendler schon lange gewünscht haben. Und was der rot-grüne Senat fast ebenso lange wollte und im Koalitionsvertrag vereinbart hatte: ein Tarif für die Stadt, aus zwei Zonen soll eine Zone werden. Ein Dreivierteljahr haben die Planer des Verbundes mit Unternehmen und Kommunen darüber beraten, wie das gehen soll. Und weil sich letztere zusehends zurückzögen, wenn es um Zuschüsse gehe, so Spliethoff, hätten die Tarifexperten keine andere Wahl gehabt: „Sie mussten die Finanzierung aus Bordmitteln bestreiten. Sie mussten andere Tickets teurer machen.“

Was teurer wird (siehe Beispiele in der Grafik) hat der Verbund in Tabellen zusammengetragen. Es gibt aber auch Erhöhungen, die nicht in den Spalten und Zeilen auftauchen. Wer zum Beispiel Einzeltickets löst, konnte sie früher innerhalb einer bestimmten Zeit für die Rückfahrt nutzen. Seit Anfang des Jahres muss für die Rückfahrt ein neuer Fahrschein gekauft werden. Eine Erhöhung um 100 Prozent. Spliethoff: „Ja, so kann man das sagen.“

Eine andere Preissteigerung, die ebenfalls nicht sofort aus den Tabellen ersichtlich wird: VBN-Kunden, die aus Niedersachsen nach Bremen wollen, müssen mitunter ein Ticket nachlösen. Laut Serviceauskunft des Verbundes gilt die einheitliche Preisstufe nur für den innerbremischen, nicht aber für den Bus- und Bahnverkehr in die Stadt. Für den bleibe es bei zwei Tarifzonen, sodass unter Umständen ein weiterer Fahrschein gelöst werden muss.

Dass die Preiserhöhung des Stadttickets, ehemals Sozialticket, in der VBN-Statistik fehlt, hat dagegen einen simplen Grund: „Das ist Sache der Straßenbahn AG“, sagt Spliethoff. Martina Dohrmann muss für das Stadtticket eines ihrer Söhne jetzt 26,60 Euro zahlen. Das ärgere sie, mehr aber noch die kontinuierlichen Preissteigerungen bei diesem vergünstigten Angebot für Bremer mit wenig Geld.

Nach Rechnung von Jens-Christian Meyer ist das Stadtticket für Schüler in den vergangenen zwei Jahren um 20 Prozent teurer geworden. „Das können wir nicht ändern“, sagt der Sprecher der Bremer Straßenbahn AG (BSAG). Das spezielle Monatsticket sei preislich am normalen Monatsfahrschein gekoppelt. Steige dessen Preis, werde auch das Stadtticket teurer.

Die VBN-Gremien erklären in ihrer gemeinsamen Pressemitteilung die Preiserhöhungen allerdings anders als ihr Sprecher Spliethoff. Von Anpassungen, damit die Einheitszone finanziert werden kann, ist keine Rede. Sondern unter anderem davon, dass eben die Kommunen ihre Zuschüsse weiter gekürzt hätten. Dass die Kosten für Personal und für Treibstoff gestiegen seien. Und dass Investitionen anstünden, um die Angebote zu verbessern.

Corinna Hagedorn vom Fahrgastbeirat des VBN kennt die Erklärungen. „Es sind immer die gleichen.“ Nur nachvollziehbar seien sie nicht. Der Beirat kritisiert die neuerliche Tariferhöhung scharf. „Die Preise gehen Jahr für Jahr nach oben, ohne dass sich die Qualität verbessert.“ Nach wie vor fielen immer wieder Busse und Bahnen aus und komme es zu Verspätungen. Das einzige, was der Beirat tun könne, sei anzumahnen. Hagedorn: „Wir haben kein Mitspracherecht.“

BSAG-Sprecher Meyer weist die Kritik zurück. Natürlich sei es eine Verbesserungen, wenn sich etwa der Takt der Bahnen im Laufe der Jahre erhöhe. Die Vermutung, dass mit den Investitionen, die zur Qualitätsverbesserung anstünden, die neuen BSAG-Bahnen gemeint sein könnten, erklärt er für absurd. Keine Kommune im VBN trüge eine Preiserhöhung mit, um Bahnen für Bremen zu finanzieren.

Dass die neuen Tarife auch mit steigenden Spritkosten begründet werden, obwohl sie derzeit sinken, ist für Meyer plausibel. Die Gespräche über Preisanpassungen hätten einen Vorlauf von einem Dreivierteljahr. „Darum können sinkende Kosten nicht sofort an die Kunden weitergegeben werden.“ Obwohl die neuen Gespräche erst noch anstehen, geht Meyer davon aus, dass es 2016 abermals einen Anstieg geben wird. Wie in den 15 Jahren zuvor. So lange ist es her, dass die Tarife mal nicht angehoben wurden.

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